Markus Bauer
Der erste Teil des Buches besteht aus einer sich erinnernden Erzählerin Adela Nicolescu (Del), die in einem Buchladen und später auch im Internet einen Roman findet, der ziemlich exakt ihre eigene Biografie erzählt. Man erfährt im Wechselspiel von serifenlosem Text (Buch bzw. Blog) und Serifenschrift (Del) von den merkwürdigen Vorgängen im Heimatdorf Dels (und Rustis), die um das ruinöse Gebäude der Mühle kreisen.
Von allen Seiten betrachtet, nimmt ein Geschehen vage Gestalt an, das im ersten Teil nur um die Menschen des Dorfes und ein grausiges Geschehen in der Mühle kreist. Menschen verschwinden, Kinder werden erwachsen, ergreifen Berufe. Comosteni gibt das Soziotop ab, in dem die äussere Welt höchstens durch ankommende Parteikader aufscheint. Im Dorf zählen nur die Familienverhältnisse, wer mit wem, wer gegen wen, gute Menschen und böse Menschen. Da spielt der Staat keine grosse Rolle.
Mit dem zweiten Teil des Buches setzt dann die Geschichte erneut ein, diesmal von einer Erzählerin in dritter Person geschildert, die sehr viel über die Personen weiss, dies aber den Lesern nur wiederholend und zögerlich mitteilt. Im Mittelpunkt steht vor allem das Geschehen um jenen 1. Mai 1986, der mit Ostern zusammenfällt und mit den Nachrichten von einer radioaktiven Wolke aus Tschernobyl. Und die Mühle. Die Mühle ist ein Zwitterwesen: «Von vorne sieht sie aus wie ein riesiges Kreuz, aber auch wie ein doppelköpfiges Fabeltier», und zwischen diesen beiden Symbolen spielen sich die Biografien der Dorfbewohner ab.
Jetzt kommt noch ein drittes hinzu: Schmerzhaft eindringlich wird klar, dass eben der Staat, die Securitate einen ganz entscheidenden Anteil an der erzählten Geschichte haben. Nicht nur als reale «Institution», sondern als Macht, welche die Gedanken der Menschen beherrscht. Auch hier ist es der vielgestaltige Dämon aus der Mühle, der das Geschehen bestimmt, indem er die Menschen in merkwürdige Situationen bringt. Er taucht als Lichtphänomen, Schlange, Wolke, sich in Asche auflösende Gestalt, farbiger Punkt auf – der Roman hat in dieser Hinsicht einiges von Fantasy- und Science-Fiction-Filmen gelernt. Zugleich ist das Phantom jener erzählerische Katalysator, der die geheimen Triebkräfte, vor allem sexueller Art, im Verhalten sichtbar macht. Wer will, kann den kurzen dritten Teil des Romans als «Auflösung» dieses Gespensterglaubens verstehen.
Doina Rustis Buch bietet einen gegen viele literarischen Usancen widerständigen Zugang zur Biografie Rumäniens im 20. Jahrhundert und wurde bei Erscheinen 2008 mit dem Preis des Rumänischen Schriftstellerverbandes ausgezeichnet.